Rückblick auf den Nachmittag
Poppy hatte es schon wieder getan und ihr war ganz und gar nicht wohl dabei. Sie sollte hier wirklich nicht allein herum laufen. Das wusste sie selbst. Genau wie sie wusste, dass sie sich nicht richtig verteidigen könnte, sollte sie angegriffen werden. Ihr war klar, dass Simon sie nicht beschützen konnte und dass die Pistole in ihrer Tasche nicht genügend Munition hatte, mal abgesehen davon, dass Poppy gar nicht richtig schießen konnte. Kurz gesagt: Sie würde hier drauf gehen, wenn sie nicht ein ungeheures Glück hatte! So viel Glück wie vor einer Woche auf dem Friedhof.
Poppy legte es sogar darauf an eben dieses Glück erneut herauszufordern. Dafür war sie überhaupt erst hier heraus gekommen. Seit dem dieser mysteriöse Fremde ihr das Leben gerettet hatte, konnte sie nicht mehr aufhören darüber nachzudenken. Noch immer stand sie ohne Antworten da und konnte nichts tun als jede Sekunde zu hoffen, dass er auftauchen würde.
Aber sowas machte man doch auch nicht, oder? Jemandem das Leben retten und dann einfach wortlos verschwinden. Das war erstens seltsam und zweitens unhöflich. Wenigstens vorstellen hätte er sich ja können, wenn er sich schon nicht sonderlich für ihre Herkunft und ihren Namen interessierte.
Erst hatte Poppy gedacht, dass er vielleicht die Notiz von Jeremy gefunden hatte, aber wenn er auf dem Weg zur Farm war, wäre er doch inzwischen bestimmt wieder da aufgetaucht. Also war es nur Zufall, dass er im Wald gewesen war.
Vorsichtig pfiff Poppy ihren kleinen Welpen zurück, der ein bisschen zu weit vorgelaufen war. Sie achtete darauf nicht zu laut zu sein, schließlich wollte sie ja niemanden anlocken. Doch Simon kam nicht zurück. Im Gegenteil, er rannte noch schneller. Poppy beschleunigte ihre Schritte, traute sich aber auch nicht zu rennen. Das würde nur die Panik steigern, die eh schon in ihr hoch stieg. Im Gehen zog sie die Pistole aus der Häkeltasche und umschloss sie mit der rechten Hand ganz fest. Sie bog um eine kleine Ecke und zuckte zusammen. Da war jemand! Eine Gestalt schleppte sich den Weg entlang. Poppy hob die Waffe und zielte. Ihr Finger lag bereits auf dem Abzug, doch noch zögerte sie. Er hatte sie nicht gesehen, sie könnte einfach weggehen und sich auf der Farm verschließen. Sie musste nicht schießen.
Trotzdem lief sie nicht. Sie musste Simon retten. Also gab Poppy einen ganz leichten Druck auf den Auslöser, nicht genug um zu schießen aber doch so stark, dass nun ein winziges Zucken reichen würde. Als sie gerade den Mut gefasst hatte, erkannte sie noch etwas. Ein Hund und nun verstand sie auch, warum Simon so aufgeregt los gelaufen war. Der kleine Welpe hüpfte aufgeregt um den viel größeren Hund herum und sie beide wirkten wie alte Freunde, jedenfalls für Poppy. Simon schien die Hündin tatsächlich schon zu kennen, aber vorher könnte er... "
Oh Gott!" Poppy erschrak und ihr Finger zuckte. Ein Schuss löste sich und für einen Bruchteil eines Momentes glaubte Poppy jetzt irgendjemanden umgebracht zu haben. Doch zu ihrem - und auch Morans Glück - ging der Schuss ins Leere.
Mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen stand Poppy da, die Pistole in beiden Händen und unfähig sich zu bewegen.